#Aufstehen vs. #Hinknien

Eine meist unhinterfragte Tradition bei amerikanischen Sportevents: Erst stehen alle auf für die Hymne, um dann im Sitzen dem Spielverlauf zu folgen. Doch seit #takeaknee scheint alles anders. Dabei ist es nicht das erste Mal, dass die Aura des „Star Spangled Banner“ umgewertet wurde.

Das beim Sport omnipräsente Trällern der Nationalhymne mag hierzulande befremdlich wirken. In Amerika gehört es dazu und ist für die meisten Ausdruck ihres natürlichen Patriotismus. Dabei ist diese Tradition längst keine Naturgegebenheit. Denn jahrzentelang konnte man Sport auch gut ohne von Patina getränkten Hymnenpatriotismus erleben. Erst im Laufe des Zweiten Weltkriegs wurde regelmäßig die Hymne vorweg präsentiert und gesungen. Seitdem ist es zu einer Art rituellen Bürger(innen)pflicht geworden.
   
Zugespitzt könnte man also sagen: Erst durch den Kriegseinsatz und die zunehmende Militarisierung der amerikanischen Außenpolitik ab den 40er Jahren etablierte sich der Hymnenritus auch beim Baseball. Wie sehr der Ballsport zur Stärkung der Moral an der Heimatfront diente, illustriert ein Zitat von US-Präsident Franklin Roosevelt, der in einem Brief vom 15. Januar 1942 an den Commissioner of Baseball die Aussage traf „The show must go on“, denn die Bevölkerung brauche Baseball zur Erholung — gerade in Kriegszeiten:
Patriotischer Keim: Die World Series 1918
“I honestly feel that it would be best for the country to keep baseball going. There will be fewer people unemployed and everybody will work longer hours and harder than ever before.
“And that means that they ought to have a chance for recreation and for taking their minds off their work even more than before.
“Here is another way of looking at it – if 300 teams use 5,000 or 6,000 players, these players are a definite recreational asset to at least 20,000,000 of the fellow citizens – and that in my judgment is thoroughly worthwhile.” (1)

Die Hymne in Zeiten von Krieg und Frieden

Baseball war somit kriegsrelevant. Manche Menschen sehen im sportlichen Wettkampf ja auch eine Art der Kriegsführung — nur ohne Tote. Und so mag es nicht verwundern, dass das sportliche Hymnenschmettern gerade in Kriegszeiten schon immer besonders populär war. 1862 ist dieser Fakt zum ersten Mal bei einem Baseballspiel belegt. Damals tobte der Bürgerkrieg zwischen Nord- und Südstaaten (jener Krieg, der Baseball erst übers ganze Land verbreitete). Im Ersten Weltkrieg erfuhr dieses Ritual dann einen regelrechten Boom, ebbte danach aber wieder ab. Ein Grund war, dass die Clubbesitzer außer bei extrem wichtigen Spielen sehr selten Bands engagierten. Die fortschreitende Aufrüstung der Stadien mit Strom, Licht und Soundtechnik änderte das bis in die 40er Jahre. Und seither ist das Abspielen der Hymne gar nicht mehr aus der Inszenierung des Profisports in den USA wegzudenken. Nur die Chicago Cubs verzichteten nach 1945 darauf — um es 1967 während des Vietnamkriegs wieder dauerhaft einzuführen.
Aber zurück zum #Hinknien, was einige Menschen als zutiefst unpatriotisch empfinden, wenn dabei eine Hymne erklingt. Der Eklat entspann sich am 16. August 2016 um den Footballquarterback Colin Kaepernick von den San Francisco 49ers. Er kommentierte anschließend sein Verhalten mit den Worten:
„Ich werde nicht aufstehen und stolz für eine Fahne demonstrieren, die für ein Land steht, das Schwarze und andere Farbige unterdrückt.“
Der Rest ist Geschichte. Seitdem tat es Kaepernick ein einzelner Spieler in der MLB nach. Der auf dem Titelbild dieses Beitrags abgebildete Catcher der Oakland Athletics: Bruce Maxwell.

Da legst di nieder…

Doch die sakrosankte Aura der US-Hymne wurde seit jeher nicht von allen Beteiligten gleichermaßen geheiligt. Im Jahr 1968 sorgte der Sänger José Feliciano für Aufsehen, als er vor dem fünften Spiel der World Series zwischen den Detroit Tigers und St. Louis Cardinals eine ganz eigene soulige Jazzversion des „Star Spangled Banner“ sang:
Sein Gefühl vor dem Gig beschrieb Feliciano einmal so: „Dass ein Einwanderer aus Puerto Rico eingeladen wird, die Hymne zu singen, wow, sowas kann′s nur in Amerika geben.“ Sein neuartiger Auftritt endete jedoch mit verhaltenem Klatschen, das in einem Buh-Konzert unterging.
Doch auch diese Peinlichkeit liefert nur den Beweis dafür, dass wahre Genies ihrer Zeit voraus sind. Denn heutzutage ist fast schon ein Wettbewerb darum ausgebrochen, wer die Nationalhymne am eigenwilligsten interpretiert.

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