Plubic Viewing anno 1911

Sportereignisse als Massenspektakel gab es schon im alten Rom. Doch wer nicht live dabei sein konnte, war auf die Berichte von Augenzeugen angewiesen. Bereits vor Funk und Fernsehen übertrugen “Playographen” den Spielverlauf wichtiger Baseballspiele. Mit ihrer Hilfe wurden die Zahlen des Spiels anschaulich.

Es ist das Jahr 1911, Herbst in New York, und es läuft die World Series zwischen den Philadelphia Athletics und den New York Giants. Tausende stehen auf dem obigen Bild vor einer Schautafel und säumen die Straße. Ein Scorekeeper (in etwa Spielstandsbeauftragter) bekommt über eine Telegraphenleitung den aktuellen Spielverlauf mitgeteilt und hält die mechanische Anzeigetafel auf dem neuesten Stand. Über ein Megafon kommentiert er die Spielzüge. Eine Frühform des “Public Viewing”.

Der Playograph aus dem Titelbild

Das Bild zeigt etwas, das für andere Sportarten nur schwer vorstellbar ist: Die schematische Visualisierung eines lebendigen Spieles, die so nur dank der minutiös nachvollziehbaren Statistiken möglich ist. Das genaue Erfassen von Balls und Strikes, Hits und Outs, die einen festen Bestandteil des Ballsports ausmachen, macht solch eine synchrone Zurschaustellung schließlich erst möglich.

Denn lange bevor sportliche Großereignisse auf Megaleinwänden Einzug in unsere Innenstädte hielten, waren es vor allem Sportreporter und Zeitungen, die dafür sorgten, dass das Baseballfieber der Großstädte auch den Rest der Bevölkerung auf dem Land erfasste. Dafür mussten sie erst die richten Ausdrucksmittel finden,um den Verlauf eines Spiels auch adäquat wiederzugeben. Es war die Geburtsstunde der Box Score, der zahlenlastigen Spielstandsanzeige, die der “Vater des Baseballs” Henry Chadwick im Jahr 1859 erstmals für einen Spielbericht verwendete.

Box Score der World Series von 1911

Ohne die Möglichkeit Fotos zu drucken, war die Box Score der einzige Weg, Schlüsselereignisse in eine sinnvolle Übersicht zu packen. Und das System hatte Erfolg. Chadwick war der Erste, der Runs, Errors, Strike-Outs und Base Hits systematisch erfasste. Damit begründete er nicht nur die Statistikbesessenheit im Baseball, sondern gab vielen Spielzügen erst ihren Namen. So verdanken wir ihm beispielsweise auch die schöne Abkürzung “K” für ein Strikeout. Denn er prägte den Ausdruck “the batter was struck” und wählte davon als Kürzel den klingenden letzten Buchstaben.

Der Schöpfer des Batting Average (Schlagdurchschnitt) und ERA (Earned Run Average, durchschnittlich kassierte Runs eines Pitchers), Henry Chadwick (1824 – 1908), machte als Verfasser eines der ersten Bücher über Baseball überhaupt den Sport nicht nur zur Vermessungsgrundlage für Zahlenfreaks, sondern gleichsam zur Literatur. Wie untrennbar Chadwick und Baseball verbunden waren zeigen auch seine überlieferten letzten Worte auf dem Sterbebett:

“Wie hat Brooklyn gegen New York gespielt?”

Übrigens haben Rudimente der “Playographen” bis heute überlebt. Die typischen Spielanzeigen bei Fernsehübertragungen nutzen dasselbe System an leuchtenden Symbolen. Neben dem Spielstand wird die Zahl des Innings (erstes/oberes bzw. zweites/unteres Halbinning durch ein Dreieck dargestellt), Anzahl der momentanen Outs (zumeist als zwei Punkte) sowie der Count (Strikes und Balls). Die drei Rauten symbolisieren die Bases, die je nach Farbgebung frei oder von einem Runner besetzt sind.

Oben links der Spielstand: Bases loaded und full count bei nur einem Out am Ende des 9. Innings. Und das bei einem Spielstand von 4:4 zwischen den NY Mets und den Colorado Rockies. Spannender geht’s kaum…

Quellen: “The Man Who Made Baseball’s Box Score A Hit”

Henry Chadwick in der Baseball Hall of Fame

Aus dem Jahr 1871

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*