Vieraugen sehen besser aus als zwei

Wer kennt ihn nicht: Den berühmtesten Baseballspieler mit Kassengestell? Urgewalt Rick Vaughn, gespielt von Charlie Sheen in “Die Indianer von Cleveland”. Aber bebrillte Profis sind nicht allein komödiantische Fiktion – es gab sie tatsächlich in beträchtlicher Zahl.

Umpire Frank Umont macht sich bereit

Wer den Schaden hat, braucht für Spott nicht zu sorgen. Das gilt wohl besonders für kurzsichtige Ballsportler. Besonders Schiedsrichter geraten gerne in den Verdacht, “die Brille zu Hause vergessen” zu haben. Gegen solche Schmähungen muss es regelrecht als Affront gelten, wenn die Schiedsrichter dann tatsächlich mit Sehhilfen auflaufen.

So geschehen am 25. April 1956, als Frank Umont (lebte 1917-1991) als erster MLB-Umpire Balls und Strikes mit Brille auf der Nase beurteilte – und somit wagte, alle Vorurteile gegenüber der unparteiischen Fehlsichtigkeit zu bestätigen. Yankees Manager-Legende Casey Stengel kommentierte diese Neuerung eher ungehalten mit: “Erst ziehen sie dich 20 Jahre lang ab, und dann setzen sie sich plötzlich eine Brille auf.” Die Mehrzahl der Spieler reagierte jedoch sehr wohlwollend. Denn unter Profis war ein Sehgestell da schon längst kein Manko mehr: Zahlreiche Catcher, Pitcher, In- und Outfielder trugen eines auf dem Spielfeld.

“Specs” und “kleine Professoren”

Will “Whoop La” White (aktiv 1877-1886)

Die Geschichte von “bespectacled ballplayers” ist fast so lang wie die Geschichte des Sports selbst. Als erster bebrillter Baseballprofi gilt der Pitcher Will “Whoop La” White (lebte 1854-1911). Seinen Spitznamen, der in etwa “Furore” bedeutet, erhielt er für seinen raketenhaften Fastball-Wurf und seinen mächtigen Curveball. Trotz seiner unzähligen Rekorde in der Frühzeit des professionellen Baseballs wurde er erst im Jahr 2013 in die Ruhmeshalle des amerikanischen Baseball – Hall of Fame aufgenommen. Die Ehre, als erster Brillenträger dort zu landen, war da schon längst anderen zuteil geworden.

Nach White wagte es erst im Jahr 1915 wieder ein Pitcher, Lee Meadows, mit Brille aufzulaufen. Und es sollte noch einmal zehn weitere Jahre dauern, ehe der erste Feldspieler mit Augengläsern spielte. George Toporcer, genannt “Specs” – der fortan gängige Rufname für Vieraugen. Aus jener Zeit, da das Tragen einer Nasenquetsche auf dem Feld noch als ehrenrührig galt, ist folgende Annekdote überliefert.

In dem Buch “The Glory of their Times” beschreibt Brooklyn Dodgers Rightfielder Babe Herman, wie er nach einem weiten Schlag ins Outfield von seinem Third Base Coach beim Umrunden der zweiten Base gestoppt wurde. Dabei war der Ball bis unter die Zuschauerränge geflogen (Zäune waren damals unüblich) und der Outfielder noch gar nicht mit dem Ball wieder aufgetaucht. Also zog er weiter durch – und wurde prompt an der dritten Base wieder von seinem Coach gestoppt. Verärgert, warum er ihn daran gehindert habe, einen Punkt zu machen, stellte Babe Herman seinen Coach auf der Stelle zur Rede. Der antwortete:

“Babe, ich sag dir mal was. Ohne meine Gläser, erkenne ich nicht mal, wer gerade pitcht. Aber ich werde niemals eine Brille auf dem Platz tragen.” – “Warum nicht?” – “Aus Stolz.”

Neben falschem Stolz war aber wohl die Unfallgefahr für Fielder der Hauptgrund dafür, dass kaum jemand mit Gläsern vor den Augen das Feld betrat. Erst mit der Erfindung von bruchsicheren Brillengläsern nach dem 2. Weltkrieg nahm die Zahl der Brillentäger dann auf allen Positionen zu. Sogar soweit, dass in den 70er Jahren jeder schätzungsweise jeder Fünfte MLB-Profi eine Brille trug. Reggie Jackson ist unter ihnen wohl der berühmteste, aber auch der “kleine Professor” Dom DiMaggio (siehe Titelbild), der Bruder von Joe DiMaggio, zählt dazu.

Die bestaussehenden Baseball-Vieraugen sind hier in einer Slideshow zusammengestellt:

Heutzutage sind Sehgestelle in den oberen Baseballligen fast komplett verschwunden. Der technologische Fortschritt durch hochwertige Kontaktlinsen und Laser-OPs macht sie für die meisten überflüssig. Bis auf Eric Sogard (aktuell Milwaukee Brewers), dessen Brille sogar schon einen eigenen Twitter-Account hatte: @sogardspecs. Zur Selbstbeschreibung hieß es da: “I sit on the face of the Harry Potter of baseball, Eric Sogard.”

Und natürlich wird auch Kassengestell-Ikone Rick Vaughn weiter als Sinnbild für die Vereinbarkeit von Handicap und Hochleistungssport stehen – wie sie so in anderen Sportarten ihresgleichen sucht. Im Übrigen darf als reales Vorild für die Figur des Rick Vaughn der Pitcher Ryne Duren (lebte 1929-2011) gelten. Der flammenwerfende Fastball-Pitcher – mit einer Brille dick wie Panzerglas und schwankender Kontrolle im Arm – stand oft mit zugekniffen Augen auf dem Pitcherhügel, um die Zeichen seines Catchers zu entziffern. Gegen Ende seiner Karriere veröffentlichte er seine Autobiographie mit dem Titel “I Can See Clearly Now”, in der er zudem seinen Kampf mit dem Alkohol thematisierte.


Weitere Links:

Liste aller bebrillten Profis

Hall of Fame: Erste Umpirebrille

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