Sport als lohnende Lektüre

Dieser Tage erschien ein neues Buch zu globaler Sportgeschichte. Was die Lektüre zu einem „Perfect Game“ macht, lest ihr hier in der Inside Corner-Rezension.

Der Untertitel des Buches „Eine neue Geschichte des Sports“ klingt geradezu vermessen, ist es aber gar nicht. Denn statt eines chronologischen Geschichtsnarrativs präsentiert Martin Krauß eine Vielzahl spannender Geschichten aus der Sportwelt, die er unter dem Gesichtspunkt sozialer Kämpfe um gesellschaftliche Teilhabe nacherzählt. Tatsächlich „neu“ an diesem Erzählstil ist wohl, dass es so ein sporthistorisches Geschichtenbuch auf Deutsch bisher nicht gegeben hat. Und darum lohnt sich die Lektüre ganz besonders!

Das Buch gliedert sich in acht große Themenbereiche wie „Klasse und Politik“, „Queer und Gender“ oder „Religion und Hass“. Diese großen Themen werden in jeweils sechs bis sieben Kapiteln eingehend beleuchtet. Martin Krauß lässt den Blick dabei weit schweifen und präsentiert Geschichten aus allerlei Mannschafts- aber auch Nischensportarten (Curling ist leider nicht vertreten, Formel 1 zum Glück auch nicht).

Die Dramaturgie dieses großen Werks folgt mit diesen acht Abschnitten plus dem Vorwort also fast dem Ablauf eines Baseballspiels in neun Innings. Und ebenso wie der Baseball lebt Sport ja allgemein nicht allein vom Ergebnis, sondern von der Spannung und den Entbehrungen auf dem Weg dorthin. Dankenswerterweise gelingt es dem Autor mit der Gliederung seines Buches diesen Spannungsbogen ebenso zu schlagen, ohne dass man gezwungen wäre, sich an einem Stück durch die 434 Seiten durchzulesen. Die einzelnen Kapitel laden zu mäandernder Lektüre ein. Die vielen Anekdoten und Geschichten sind leichtfüßig in das große Narrativ von Teilhabe im Sport gewebt.

Nicht alles Baseball

Von besonderem Interesse für InsideCorner ist natürlich das Abschneiden der Geschichte unseres Ballsports. Und da finden sich zu einigen der zentralen Themen doch eine Handvoll Beispiele: So beschreibt Krauß die gewerkschaftliche Organisierung von Athleten beginnend mit der National Brotherhood of Professional Base Ball Players, die sich 1885 gründete. Die heutige Spielergewerkschaft Major League Baseball Players Association hat von allen amerikanischen Gewerkschaften unter den Berufsgruppen, die sie vertritt, sogar den höchsten Organisierungsgrad. Arbeitskämpfe und Streiks haben im Baseball also eine lange Geschichte. Krauß erwähnt hiervon neben dem großen Spielerstreik 1994, dem sogar die World Series zum Opfer fiel, auch den Prozess, den Curt Flood ab 1969 gegen die sogenannte Reserve Clause führte.

Die Details dieses Prozesses sind gerade auch deshalb spannend, weil es sich bei Flood um einen schwarzen Spieler handelte, der sich gegen eine Klausel zur Wehr setzte, mit der die Clubs auch über das eigentliche Vertragsende hinaus über ihre Spieler verfügen konnten. Eine Klausel also, die den Geist von Plantagenkolonialismus atmete und im Widerspruch zu Grundsätzen von Vertragsfreiheit sowie zur freien Wahl des Arbeitsplatzes stand. Das Buch kann hier immerhin zu vertiefenden eigenen Recherchen anregen. Verwiesen sei daher auf die Doku The Curious Case of Curt Flood.

Ausführlicher noch wird im zweiten Teil des Buches zu „Race und Herkunft“ die Rassensegregation und ihre Überwindung anhand von Baseball behandelt. Der Terminus Segregation beschreibt die Ausgrenzung nicht-weißer Menschen aus vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Neben den vielen negativen Auswirkungen dieser Entrechtung und Marginalisierung beschreibt Krauß, wie die Ausgeschlossenen dem begegneten. Die „Negro-Leagues“ sind ein erfolgreiches Beispiel, wie Schwarze, Latinos und Natives in eigenen Ligen und Teams dem Sport weiter frönten und sich durchschlugen.

Hin zu einem besseren Sport

Skandalös hingegen, wie Krauß auch herausstellt, wie diese Ligen im sporthistorischen Gedächtnis der Nation lange ein Schattendasein fristeten. Erst 2020 erkannte die MLB die sieben Negro Leagues als gleichwertigen professionellen Spielbetrieb an. Im Mai 2024 erfolgte die Übernahme der offiziellen Statistiken. Am 20. Juni desselben Jahres erwies die MLB diesem Teil ihrer Ballgeschichte dann mit einem Retrospiel die Ehre: Im ältesten Ballpark der USA in Birmingham, Alabama, spielten die St. Louis Cardinals gegen die San Francisco Giants. Erstere im Dress der einstigen St. Louis Stars, letztere mit den Jerseys der San Francisco Sea Lions – beides ehemalige Nego League Teams. Nach der zunehmenden Integration, die mit Jackie Robinson bei den Brooklyn Dodgers einsetzte, hatte die letzte dieser Ligen 1958 ihren Betrieb eingestellt. Denn mit der Integration endete auch das Alleinstellungsmerkmal und die Talente und Stars wanderten zu den weißen Profiklubs ab.

Dem Sport hat das freilich gut getan. Denn auch dieses Argument macht Krauß durchweg stark: Mit der Teilhabe möglichst aller Bevölkerungsgruppen – Frauen, LGBTQ, Menschen mit und ohne Behinderung aller Religionen und Nationen – wird auch der Sport zu einem besseren Ort und durch die Vielfalt auch qualitativ ansprechender. Diesem Ansinnen kann sich Inside Corner nur anschließen.

Es versteht sich (leider) von selbst, dass für ein deutsches Zielpublikum die vielen Geschichten und Pionierleistungen, die sich in dieser Hinsicht im Baseball ereignet haben, doch nur sporadisch Eingang gefunden haben und nicht in ihrer ganzen gesellschaftlichen Bedeutung über die Grenzen des Sports hinaus gewürdigt werden. Nichtsdestotrotz ist Martin Krauß mit diesem breit aufgestellten und sorgsam justierten Rundumblick ein unheimlich großer Wurf gelungen, oder um im Bilde zu bleiben: Ein Perfect Game!


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